in Binswangen

1525Erste urkundliche Erwähnung der Juden in Binswangen
1663Ein Judenfriedhof wird angelegt
1813Die Judenedikte (Judenmatrikel)
1837Einweihung der neugebauten Synagoge
1860Auswanderungswelle beginnt
1918 – 1933Die Weimarer Republik
1938Schändung der Synagoge
1942Deportierung der letzten Juden
Juden in Binswangen – eine Zeitleiste

Erste urkundliche Erwähnung

Erste Nachweise von Juden in Binswangen stammen aus den Jahren 1525, 1531 und 1536. Ihre Ansiedlung wurde vermutlich von der Augsburger Patrizierfamilie der Langenmantel gestattet.

Eine Beschreibung der Markgrafschaft Burgau aus dem Jahre 1576 über die Feuerstätten im Dorf verzeichnet von insgesamt 80 Stätten 9 in jüdischer Hand.

Ein Judenfriedhof wird angelegt

Im Jahre 1663 kaufte die „gesambte Judenschaft zue Binßwangen“ von der Markgrafschaft Burgau einen Acker auf der Schwärz in der Größe von einem Viertel Jauchert zu einer „Juden Begrebnuß“.

Obwohl er schon 1693 hätte eingezäunt werden sollen, zogen sich die Bemühungen um seine Eintillung (Umzäunung) noch 70 Jahre hin, bis endlich nach exakt einhundert Jahren nach seiner Anlage eine Mauer um diesen (im Hebräischen auch Haus des Lebens genannt) Platz gezogen werden durfte.

Das Judenedikt von 1813

Die Blütezeit der jüdischen Landgemeinden liegt im frühen 19. Jahrhundert. Im Jahr 1808 gab es im Dorf insgesamt 69 Judenhaushalte mit 291 Personen. Die meisten Binswanger Juden betrieben Haustier- und Viehhandel. Doch das sogenannte „Judenedikt“ vom 10. Juni 1813 beschränkte den Zuzug von Handelsjuden. Juden konnten demnach nur sesshaft werden, wenn sie ein Handwerk ausübten und sich vom Feldbau ernähren konnten.

Eine neue Synagoge wird errichtet

Die jüdische Gemeinde Binswangen verfügte zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits über alle wesentlichen personellen Einrichtungen, als auch über wichtige Immobilien. Es gab einen Schullehrer, seit 1829 einen Religionslehrer, einen Vorsinger und bis 1881 einen eigenen Rabbiner. Die alte, erstmals 1609 erwähnte Synagoge war eine Betstube in einem Privathaus. Das erste Synagogengebäude wurde im Jahr 1658 auf dem Platz der heutigen Synagoge errichtet und im Jahr 1736 erweitert. Wegen des wachsenden Raumbedarfs fasste die jüdische Gemeinde am 6. Oktober 1833 den Beschluss, eine neue „Schul“ auf dem Platz der alten Synagoge zu erbauen. Maßgeblich an der konkreten Planung waren der Rabbiner Isaac Hirsch Gunzenhauser und der Religionslehrer Jakob Neuburger beteiligt.

Das 1837 eingeweihte Gotteshaus stellt heute die älteste der im neomaurischen Stil aufgeführten Synagogen in Deutschland dar.

Lageplan der alten und der jetzigen Synagoge.

Auswanderungswelle beginnt

Nach Aufhebung der Matrikelgesetzgebung im Jahre 1861 konnten sich Juden der Bevölkerungsbewegung vom Land in die Städte anschließen. Dadurch kam es zu einem enormen Substandverlust der bayrischen Landjudenschaften. Auch vor Binswangen machte diese Entwicklung keinen Halt, wie diese Aufstellung zeigt:

JahrGesamtbevölkerungdavon JudenProzentanteil Juden
180082027032,9
182390132736,3
1858119042235,5
1864108441238,4
187593619320,6
190093910911,6
1910967747,7
1925922495,3
1933881364,1
1939851151,7
Bevölkerungsbewegung

Die Weimarer Republik

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, an dem übrigens auch die Binswanger Juden gleich den Christen aus dem Ort teilgenommen haben, schritt die Angleichung der Binswanger Juden fort. Das Verhältnis zwischen Juden und Christen war geprägt von tolerantem Nebeneinander. Die Christen besuchten am Fest Jom Kippur die Synagoge. Zu Ostern, der Zeit des jüdischen „Pessach-Festes“, brachten die Juden ihren christlichen Nachbarn Geschenke. Die Kinder besuchten gemeinsam die Volksschule. Sehr stark engagierten sich  die jüdischen Dorfbewohner bei den Vereinsgründungen im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Chroniken folgender Ortsvereine belegen dieses Phänomen: Freiwillige Feuerwehr, Gesangverein, Schützenverein.

Der in der Weimarer Republik aufkommende Nationalsozialismus mit seinem Antisemitismus zeigte auch in Binswangen erste Anzeichen:

Bereits im Juni 1924 warf eine nationalsozialistische Jugendgruppe während eines Zeltlagers 30 Grabsteine im Judenfriedhof um, zerschlug sie oder beschmierte sie mit Nazi-Symbolen.

Schändung der Synagoge

Mit der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 erreichten die antisemitischen Ausschreitungen einen vorläufigen Höhepunkt.

Fensterscheiben von Läden und Wohnhäusern der Juden wurden zertrümmert, auf dem Judenfriedhof wurden erneut Grabdenkmäler umgestürzt. Auch die Synagoge wurde am 10. November durch ein auswärtiges, aus Augsburg gekommenes SA-Rollkommando geplündert und geschändet.

Vormittags um 11.00 Uhr fuhren die SA-Leute mit einem Lkw bei der Binswanger Synagoge vor. Der einzige Binswanger, der am Geschehen beteiligt war, wurde gezwungen, mit einer Kreuzhacke die Synagogentüre aufzubrechen. Alle noch im Ort anwesenden männlichen Juden mussten antreten und die kostbaren Gegenstände ihres Gotteshauses auf den Lkw laden. Das übrige Inventar wurde von den SA-Schergen zerstört. Eigentlich sollte auch die Binswanger Synagoge in Flammen aufgehen, jedoch sah man davon wegen der engen Bebauung im unmittelbaren Umfeld und der damit verbundenen drohenden Brandgefahr ab.

Ein Bild der Verwüstung bot sich nach dem Pogrom der Nationalsozialisten am 10. November 1938.

Deportierung der letzten Juden

Als Folge der Geschehnisse vom 10. November 1938 verließen bis Ende 1940 weitere 11 jüdische Bürger den Ort.

Anfang 1942 lebten noch sieben Menschen jüdischen Glaubens in Binswangen. Fünf von ihnen wurden am 1. April 1942 in das Ghetto Piaski (Polen) deportiert und sehr wahrscheinlich im Konzentrationslager Belzec ermordet. Die letzten beiden Frauen mussten ihren Heimatort am 27. Juli 1942 verlassen. Auch ihr Leidensweg endete in Polen in dem von den Nazis betriebenen Vernichtungslager Treblinka.

Keiner der deportierten jüdischen Menschen hat den Holocaust überlebt. Die Existenz einer über vierhundert Jahre währenden lebendigen schwäbischen Landjugendgemeinde war ausgelöscht.

In den späteren Nachkriegsjahren kamen immer wieder Nachfahren der aus Binswangen stammenden Juden zu Besuch. Ihre stete Motivation liegt in der Aufklärung des Schicksals ihrer ausgewanderten oder ermordeten Angehörigen.

Wertinger Zeitung 16.08.2017
Wertinger Zeitung 20.04.2018